Im EU-Parlament (im Bild der Sitz in Straßburg) wird mit Herbert Dorfmann auch weiterhin ein Vertreter aus Südtirol sitzen.

„Versorgungssicherheit wird wichtiger“

Knapp zwei Wochen sind seit den Wahlen zum EU-Parlament vergangen. Herbert Dorfmann wird auch in den kommenden fünf Jahren die Südtiroler Anliegen in Brüssel und Straßburg vertreten. Im Gespräch mit dem „Südtiroler Landwirt“ wagt er eine Prognose.

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SBB Politik

Schon wenige Stunden nach Beginn der Stimmenauszählung stand fest, dass Herbert Dorfmann zum vierten Mal den Sprung in das EU-Parlament geschafft hatte. 50.000 Vorzugsstimmen waren dafür notwendig, weil die Südtiroler Volkspartei als Minderheitenliste gemeinsam mit Forza Italia auf Staatsebene kandidiert hatte. Am Ende waren es im italienischen Wahlkreis Nord-Ost genau 80.173 Vorzugsstimmen, der überwiegende Teil davon – genau 72.057 – kamen aus Südtirol. Damit ist klar: Südtirol kann auch weiterhin auf das gut ausgebaute Netzwerk bauen, das sich Dorfmann in den 15 Jahren als EU-Parlamentarier aufgebaut hat. Mit dem „Südtiroler Landwirt“ spricht Dorfmann über seinen Wahlerfolg, bevorstehende Themen und langfristige Pläne.

Südtiroler Landwirt: Herr Dorfmann, zum vierten Mal sind Sie nun zum Mitglied des Europäischen Parlaments gewählt worden, öfter als jeder Südtiroler zuvor. Was überwiegt aus Ihrer Sicht, jetzt zwei Wochen nach der Wahl: Die Freude über das gute Ergebnis oder das Wissen darum, dass das Interesse an den EU-Wahlen in Südtirol so gering war wie nie zuvor?
Herbert Dorfmann:
Ich bin sehr froh und den Wählerinnen und Wählern dankbar, dass ich weitere fünf Jahre im Europäischen Parlament arbeiten darf. Die sehr geringe Wahlbeteiligung in Südtirol macht mir Sorgen, vor allem weil sie gegen den allgemeinen Trend in Europa steht, wo die Wahlbeteiligung ja sogar leicht gestiegen ist. Leider gleicht sich Südtirol bei diesem Wahlgang eher dem italienischen Trend an. Das muss jedem Demokraten zu denken geben.

Es ist anzunehmen, dass viele Ihrer Stimmen aus dem bäuerlichen Umfeld kamen. Sehen Sie sich nach wie vor als Fürsprecher der Südtiroler Bäuerinnen und Bauern in Brüssel und Straßburg?
Ich habe in den vergangenen 15 Jahren immer versucht, die Anliegen meiner Heimat Südtirol im EU-Parlament zu vertreten, und die Landwirtschaft spielt hier eine zentrale Rolle. Wir haben in Südtrol einen sehr lebendigen ländlichen Raum und das haben wir auch der aktiven Landwirtschaft zu verdanken. Die Landwirtschaftspolitik ist im EU-Parlament ein wichtiges Thema, und man kann für Bäuerinnen und Bauern vieles bewegen. Deshalb sehe ich mich natürlich als Fürsprecher für die Interessen unserer heimischen Landwirtschaft. Wenn manche dann im Wahlkampf kritisiert haben, ich wäre ein Bauernlobbyist, dann habe ich das eher als Kompliment gesehen denn als Kritik (schmunzelt).

Wie vor den Wahlen erwartet wurde, präsentiert sich das neue EU-Parlament in seiner Zusammensetzung deutlich bürgerlicher als das der vergangenen fünf Jahre. Ist das gut für die Anliegen, die Sie in Brüssel und Straßburg vertreten?
Das nunmehr ehemalige Europäische Parlament war geprägt von einer klaren linken und grünen Mehrheit, die sich mehrmals – um ihre Ideen durchzusetzen – mit den extremen Linken zusammengetan hat. Wir haben dagegen immer angekämpft, oft hatten wir damit Erfolg, manchmal nicht. Im neuen EU-Parlament wird es deutlich schwieriger, Mehrheiten ohne uns – die Europäische Volkspartei – zu finden, und das ist für eine vernünftige Agrarpolitk sicherlich von Vorteil.

Als Agrarsprecher der Europäischen Volkspartei (EVP) hatten Sie in den vergangenen Jahren ein wichtiges Amt inne. Rechnen Sie damit, dass Sie dieses auch in den kommenden fünf Jahren übernehmen dürfen? Gibt es schon Vermutungen, wer neuer EU-Agrarkommissar wird?
Wir werden in den kommenden Wochen im Parlament über die verschiedenen Funktionen sprechen und ich möchte natürlich gerne auch weiterhin eine gewichtige Rolle in der Landwirtschaftspolitik spielen. Was den Agrarkommissar betrifft, so ist jede Spekulation zum jetzigen Zeitpunkt sinnlos. Wir werden erst mal darüber entscheiden, wer künftig die EU-Kommission als Präsidentin oder Präsident leitet, und der- oder diejenige wird dann über den Sommer mit den Mitgliedstaaten über die Kommissare und die Ressortverteilung verhandeln.

Zu den wichtigen Themen, die in den kommenden Jahren EU-politisch anstehen, gehört sicherlich die Vorbereitung auf die neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), die nach dem Jahr 2027 in Kraft treten wird. Kann man heute schon eine Prognose wagen, welche Themen und Schwerpunkte dort wichtig werden?
Der neue Agrarausschuss des Parlaments wird sofort im Herbst damit beginnen, über die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik zu sprechen. Im Zentrum der Debatte wird mit Sicherheit die Erste Säule der EU-Agrarfinanzierung – sprich die Direktzahlungen – stehen. Wir sehen zunehmend, dass die entkoppelten Direktzahlungen die gewünschten Ziele nur noch bedingt erfüllen und dass Themen wie der Generationenwechsel und die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln wichtiger werden, die in der aktuellen GAP wenig Priorität haben. Bevor wir aber über konkrete Inhalte reden, brauchen wir erst einen Agrarkommissar, dann einen Vorschlag der Kommission, und erst dann können wir uns im Parlament mit der Reform auseinandersetzen.

Welche Rolle wird ein möglicher EU-Beitritt der Ukraine für die EU-Agrarpolitik in den kommenden Jahren spielen? Besteht die Gefahr, dass dadurch das Gleichgewicht innerhalb des Agrar-Binnenmarktes aus den Fugen gerät? Was hat Südtirol bzw. die Vermarktung Südtiroler Produkte zu befürchten?
Ich glaube nicht, dass ein möglicher Beitritt der Ukraine – und damit verbunden wohl auch der Länder am Balkan – in den kommenden Jahren erfolgen wird. Die Ukraine muss – so wie jedes andere Beitrittsland – alle Voraussetzungen erfüllen, die für einen Beitritt notwendig sind, und da hat das Land noch vieles zu leisten, auch in Anbetracht der besonderen, schwierigen Situation, in der sich das Land zurzeit befindet. Tatsache ist: Die Ukraine ist ein riesiger Produzent von Lebensmitteln, sie wäre der größte Flächenstaat der Europäischen Union. Insofern ist natürlich schon genau darauf zu achten, welche Auswirkungen ein Beitritt auf unsere Märkte in Europa hätte. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass wir heute große Mengen an Ackerfrüchten und pflanzlichen Proteinen, allen voran Soja, von anderen Regionen der Welt in die EU importieren. Hier könnte die Ukraine mittelfristig schon eine gute Alternative darstellen, das würde aber bedeuten, dass sie ihre landwirtschaftliche Produktion erheblich umstellen muss. Bedenken muss man auch, dass die Agrarstruktur in der Ukraine heute eine völlig andere ist als in der EU. Wir haben dort Betriebe mit mehreren 10.000 Hektar – ein Umstand, der sich mit unserem heutigen System der Flächenprämien schwerlich vereinbaren ließe.

Das Thema Ernährungssicherheit spielt spätestens seit der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg wieder eine zentrale Rolle in der öffentlichen Debatte. Was muss aus Ihrer Sicht geschehen, damit die Menschen in der EU künftig vermehrt mit Produkten aus der EU ernährt werden können und die EU weniger abhängig von anderen Regionen der Welt ist?
Ich bin überzeugt, dass die Nachfrage nach Agrarprodukten in der Welt auch in den kommenden Jahren weiter wachsen wird. Die Europäische Union tut daher gut daran,  möglichst auf eigenen Füßen zu stehen, vielleicht in Zukunft auch gemeinsam mit der Ukraine. Derzeit brauchen wir viele Millionen Hektar Ackerfläche außerhalb der EU, um unsere eigene Ernährung sicherzustellen. Das ist langfristig nicht nur ethisch fragwürdig, sondern auch gefährlich. Wir müssen daher in Europa Produktivität und Nachhaltigkeit miteinander verbinden. Nachhaltigkeit darf nicht bedeuten, dass automatisch weniger produziert wird, damit würden wir die Produktion nur in andere Regionen verlagern, und das wäre ja gerade alles andere als nachhaltig. Wir müssen daher alles daransetzen, dass wir in Europa nicht weiter Flächen verlieren, sondern dass wir auf den bestehenden Flächen möglichst effizient Lebensmittel produzieren.

Näher als die neue Agrarpolitik stehen den Bäuerinnen und Bauern in Südtirol Themen wie das Großraubwild – vor allem jetzt, wo die neue Almsaison vor der Tür steht. Wie gut stehen die Chancen, dass der Schutzstatus des Wolfes endlich gesenkt wird? Und welchen Einfluss kann das EU-Parlament auf den künftigen Umgang mit dem Thema Großraubwild ausüben?
Ich habe mich in den vergangenen Jahren sehr dafür eingesetzt, dass wir auf europäischer Ebene eine neue Politik beim Umgang mit Wölfen und anderen Großraubtieren in die Wege leiten. Das Parlament hat sich mittlerweile auch dafür ausgesprochen, dass der Schutzstatus des Wolfes gesenkt werden soll. Nun liegt es an den Mitgliedstaaten, dahin gehend schnellstmöglich eine Einigung zu finden und grünes Licht für diese Absenkung des Schutzstatus zu geben. Der Wolf braucht heute keinen so strengen Schutz mehr wie er ihn aktuell genießt. Auf europäischer Ebene können wir den Mitgliedstaaten nur die größtmögliche Flexibilität geben. Dann müssen die Staaten diese Flexibilität aber auch nutzen. Denn über den Abschuss von Wölfen entscheidet nicht Brüssel, sondern in unserem Fall Rom – wobei es für uns am besten wäre, wenn Rom diese Zuständigkeit an das Land Südtirol delegieren würde. Wir brauchen endlich einen funktionierenden Managementplan für die bestehende Wolfspopulation und einen entschiedenen Eingriff in diese. Sonst wird die Population weiter wachsen und vor allem unsere alpine Berglandwirtschaft vor große Probleme stellen.

Die Umsetzung des „Green Deal“ und der Kampf gegen den Klimawandel werden auch in den kommenden Jahren ein Thema sein – wenn auch unter anderen politischen Voraussetzungen. Welche Schritte werden hier als Nächstes in Angriff genommen?
Eines ist uns allen bewusst: Die Landwirtschaft ist jener Sektor, der am meisten davon betroffen ist, wenn das Klima verrücktspielt. Egal ob es um Überschwemmungen, Hitzewellen, Trockenheit oder andere Extremwetterereignisse geht. Es ist also im ureigensten Interesse der Landwirtschaft, etwas dagegen zu unternehmen. Leider wurde der „Green Deal“ in den vergangenen Jahren oft für die Umsetzung ideologischer Ideen und als Werbeveranstaltung für eine einseitige Entwicklung der Landwirtschaft missbraucht, eben weil wir die schon erwähnten Mehrheiten hatten. Das wird sich nun hoffentlich ändern, denn dafür war der „Green Deal“ nie gedacht und er würde auch seine wissenschaftliche Legitimation verlieren. Wir werden schauen müssen, wo CO2 entsteht, wo man es vermeiden bzw. Emissionen einschränken kann und wie man es wieder aus der Atmosphäre entnehmen kann. Bei allen drei Punkten kann die Landwirtschaft ein Teil der Lösung sein. Ich bin überzeugt, dass nur ein wissenschaftlich nachvollziehbarer Weg dazu führen wird, dass die Menschen diese wichtigen Anstrengungen auch verstehen und mittragen.

Zwei konkrete Fragen zum Abschluss: Wird eine neue Regelung zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln kommen? Und wie geht die Diskussion über den Einsatz neuer genetischer Züchtungsmethoden weiter?
Wenn die EU-Kommission wieder einen Vorschlag zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln vorlegen sollte, dann wird er sicherlich nicht mehr so schlecht gemacht sein wie jener, den wir im EU-Parlament erfolgreich versenkt haben. Was den Einsatz neuer genetischer Züchtungsmethoden angeht, so hat das EU-Parlament seinen Bericht verabschiedet (der „Südtiroler Landwirt“ hat berichtet, Anm. d. Red.). Nun gilt es, gemeinsam mit dem Europäischen Rat eine Einigung zu finden, um dieses Dossier unter Dach und Fach zu bringen.

Bernhard Christanell

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