Für Südtirols Wälder könnte Carbon Farming interessant werden – dazu braucht es aber noch die entsprechenden Rahmenbedingungen.

Das Geld wird einem nicht geschenkt

Carbon Farming, d. h. das Verkaufen von Credits für die langfristige Kohlenstoffbindung, hat Potenzial für die Südtiroler Waldbesitzer, sagt der ehemalige Landesforstinspektor Mario Broll im Interview. Aber es ist Vorsicht geboten, denn die Materie ist komplex und noch sehr im Wandel.

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Mario Broll ist als Landesforstinspektor zwar in Rente, die Themen Wald und Holz liegen ihm aber nach wie vor sehr am Herzen. So sitzt er für den Südtiroler Bauernbund im Verwaltungsrat von PEFC Italia und verfolgt die Entwicklungen des Marktes mit CO2-Credits für die Kohlenstoffbindung des Waldes genau. Denn das Thema ist sehr komplex, für Südtirols Waldeigentümerinnen und -eigentümer birgt es aber Potenzial. Allerdings ist Vorsicht geboten, meint Broll im Interview mit dem „Südtiroler Landwirt“. „Wir sind und bleiben am Ball“, beruhigt der ehemalige Oberförster im Land.

Südtiroler Landwirt: Herr Broll, können Waldbäuerinnen und -bauern in Südtirol mit Carbon Farming Geld verdienen?
Mario Broll:
Ja, sie können. Aber, eines muss klar gesagt werden – Geld kommt nicht über den Kamin ins Haus! Und damit meine ich: Wenn man etwas haben will, muss man dafür auch etwas leisten. Konkret heißt das, dass nicht automatisch Geld fließt, wenn man der Gesellschaft durch den Zuwachs im eigenen Wald oder durch den Verzicht auf die Bewirtschaftung des Waldes CO2-Bindung bietet. Die Verfahren sind im Gegenteil sogar sehr komplex und aufwändig, auch finanziell aufwändig:  Man muss dafür ein Projekt in die Wege leiten, über einen externen Berater, der evaluiert, ob meine Tätigkeiten Carbon-Farming-tauglich sind oder nicht. Und zwar laut bestimmten Standards, die momentan noch nicht einmal eindeutig definiert sind, weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene …

Was meinen Sie damit?
Wenn wir beispielsweise die Standards der Plattform Verra hernehmen, die für Entwicklungsländer herangezogen werden, wo nicht nachhaltige Waldrodungen gemacht werden und entsprechend das Verbesserungspotenzial des Carbon Farming gegeben ist, so werden die von den größten internationalen Umweltorganisationen sehr in Frage gestellt. Und Verra ist derzeit die bekannteste Plattform für Carbon Farming …

Das heißt, es ist derzeit noch viel in der Schwebe. Aber wenn die Standards erst klar definiert sind, kann man damit Geld verdienen. Was ist denn aber so aufwändig dabei?
Wie bereits erwähnt, muss der Waldeigentümer oder die Waldeigentümerin über einen Berater einen Bericht schreiben und ein Projekt ausarbeiten für den entsprechenden Waldbesitz. Dieser Berater muss natürlich bezahlt werden, das ist klar. Dann stellt man bei diesem Bord – nehmen wir an, es sei Verra  – einen Antrag und muss dann schauen, ob man überhaupt zugelassen wird. Wenn ja, gibt es in der Folge natürlich Audits, die bestätigen sollen, dass man die angegebenen Standards einhalten kann und so weiter. Um es kurz zu machen: Wenn man all diese Schritte machen muss, die ja alle einen Aufwand darstellen und auch kosten, muss man ohne Umschweife wohl sagen, dass sich das Ganze für kleine Waldeigentümer nicht lohnt. Und bei uns sind eben die meisten kleine Waldeigentümer.

Das heißt, Südtirols kleine bis mittlere Waldbesitzer können nicht mitnaschen am Kuchen?
Ich habe mich eingehend mit dem Thema beschäftigt und würde als kleiner oder mittelgroßer heimischer Waldeigentümer heute diesen Weg nicht einschlagen und vor allem nicht alleine einschlagen. Vielmehr würde ich den bewährten Weg weiterführen: Nämlich meinen Wald nutzen, den Hiebsatz realisieren, durchforsten und ihn gut in Schuss halten bzw. bringen. Auch in Anbetracht künftiger Generationen. Meistens sind unsere Wälder ja an einen Hof gekoppelt. Was passiert denn, wenn ich eine außerordentliche Schlägerung machen will/muss? Weil ich den Stadel erneuern oder die Balkone neu machen will? Um das machen zu können, muss ich die Waldbewirtschaftung über einen längeren Zeitraum hinweg so ausrichten, dass ich dieses Holz zur Verfügung habe, wenn ich es brauche. Gleichzeitig muss ich im Hinterkopf behal­ten, dass es Ereignisse gibt wie Vaia oder den Borkenkäfer, was den im Zuwachs gebundenen Kohlenstoff letztendlich wieder freisetzt. Wenn ich aber meine CO2-Quoten langfristig verkauft habe, kann ich sie plötzlich nicht mehr garantieren. Und auch keine außerordentliche Schlägerung machen, wenn ich beispielsweise ein neues Dach am Haus brauche.

Dann macht Carbon Farming gar keinen Sinn? Oder zumindest derzeit noch nicht ...
Stimmt, wirklich Sinn macht Carbon Farming derzeit vor allem in Übersee, wo große Flächen zur Verfügung stehen, die beispielsweise aufgeforstet werden können. Bei uns mit den kleinen Einzelbetrieben macht das momentan keinen Sinn bzw. ist es einfach nicht rentabel. Auch weil die Standards auf nationaler Ebene bisher nicht entsprechend formuliert waren bzw.noch nicht sind. Um dem zukünfzigen nationalen Register beitreten zu können, muss man nämlich die Standards einhalten, die im Reglement des Ministeriums enthalten sind: Dabei geht es zum Beispiel um Kriterien bei Durchforstung, Aufforstung, Bewirtschaftung und dergleichen. Im ersten Entwurf war beispielsweise der Verzicht auf die Entnahme des Hiebsatzes  enthalten. Das wäre für uns aber nicht tragbar: weder für den Betrieb aus den bereits genannten Gründen noch für die nachhaltige Waldentwicklung generell. Damit würde man nämlich direkt oder indirekt das Nichtstun fördern. Das kann nicht sein! Denn dann könnte das Holz unserer Wälder nicht mehr genutzt werden, weder für den Eigenbedarf noch für den Verkauf. Und statt das Holz der eigenen Wälder zu verwenden, müssten wir es von irgendwo herholen, wo es sogar vielleicht nicht nachhaltig produziert wird. Das ist nicht zu rechtfertigen ...
Aber es tut sich gerade recht viel: Denn diese Standards sind in ständiger Überarbeitung. Man arbeitet gerade an einem zweiten Entwurf dieses Reglements, zu dem der Südtiroler Bauernbund gemeinsam mit dem Landesforstdienst Vorschläge eingebracht hat. So versuchen wir, dieses nationale Reglement auch südtiroltauglich zu machen. Beispielsweise steht im neuen Entwurf nichts mehr vom Verzicht auf die Entnahme des gesamten Zuwachses, sondern dass der Hiebsatz realisiert werden kann und soll. In den Prämissen steht nun sogar, dass eine Waldbewirtschaftung notwendig ist, dass also Hiebsätze realisiert werden müssen, damit man teilnehmen darf. Der Wald bleibt damit eine Ressource, die genutzt werden kann. Das ist nachhaltig und wichtig. Und damit wird das Carbon Farming doch auch für Südtiroler Waldeigentümerinnen und -eigentümer interessant. Allerdings nicht unbedingt als Einzelbetrieb, sondern uns schwebt da eine Gruppe vor. Das hat sich bei der Waldzertifizierung nach PEFC bewährt und könnte auch bei Carbon Farming sinnvoll sein. So könnten wir auch die Möglichkeit bekommen, über das national ausgearbeitete Reglement mit Carbon Farming Geld für unsere kleinen und mittleren Forstbetriebe nach Südtirol zu holen. Wir sind also am Ball und arbeiten aktiv daran mit. Aber wir müssen uns in Vorsicht üben: Wenn der richtige Zeitpunkt in der Entwicklung der nationalen und internationalen Standards gekommen ist, werden wir ein System implementieren, das für Südtirol zukunftsfähig ist: mit wenig Bürokratie für den Einzelnen und den entsprechenden Vorteilen. Ohne dabei unsere traditionelle Waldbewirtschaftung in Frage zu stellen.

Wie genau könnte eine entsprechende Zertifizierung vonstattengehen?
Unsere Überlegung ist, dass eine der bislang bereits etablierten Zertifizierungsanstalten, z. B. PEFC, als akkreditierte Prüfstelle eingetragen oder im Vorfeld bereits in das entsprechende nationale Verzeichnis eingetragen wird. Daran arbeiten wir. Denn Südtirols Wälder sind bereits PEFC-zertifiziert, entsprechend gibt es regelmäßig Audits. Das Ziel wäre, dass bei diesen Audits weitere Parameter mit kontrolliert und dadurch praktisch gleichzeitig das für Carbon Farming notwendige Audit abgewickelt werden könnte. Das würde den Aufwand stark reduzieren. Auch den finanziellen Aufwand selbstverständlich. Allerdings gibt es noch viele Fragen, die es zu klären gilt. Aber die Eigentümerinnen und Eigentümer sollen wissen: Der Südtiroler Bauernbund und der Landesforstdienst arbeiten daran. Mit Umsicht jedoch, also ohne etwas zu überstürzen. Denn wir brauchen die Sicherheit, dass zum Schluss alles glattgeht.

Wie können Waldbäuerinnen und -bauern Kohlenstoff seriös binden (also dauerhaft Kohlenstoffsenke werden), um effektiv Carbon Farming zu betreiben?
Da gibt es zwei verschiedene Ansätze: Die erste Möglichkeit besteht darin, durch den jährlichen Zuwachs unserer Wälder zur Kohlenstoffsenke zu werden. Dazu muss ich aber etwas vorausschicken: Der Hiebsatz ist notwendig, das habe ich bereits erklärt, deshalb wird geschlägert. Aber die Differenz zwischen Nutzung und Zuwachs ist der Teil an Kohlenstoff, der langfristig im Wald bleibt, das ist der Kohlenstoff-Speicher, der angestrebt wird. Die zweite Möglichkeit besteht darin, zusätzlichen Kohlenstoff zu binden, indem Holz zwar entnommen, aber nicht verbrannt, sondern zum Beispiel verbaut oder anderweitig verwendet wird: Nehmen wir an, wir haben Rundholz aus einem heimischen Wald entnommen. Dabei gibt es Verluste, die in etwa mit 40 Prozent beziffert werden können, netto bleiben also ca. 60 Prozent Holz, die weiterverarbeitet werden können. Wenn dieses Holz als Baustoff Verwendung findet, liegt es natürlich länger als Kohlenstoff fest, als wenn daraus Möbel gemacht werden. Deshalb reden wir vor allem über Bauholz. Aber auch da muss nachgewiesen werden, wo und in welchem Maß das geschlägerte Holz verbaut wurde.

Wie werden CO2-Credits überhaupt gehandelt? Und wo?
Es gibt eine Börse, an der Credits gehandelt werden. Da kann man sich auch den jeweils aktuellen Kurs anschauen. Der Börsenkurs schwankt natürlich, momentan liegt er bei 70 bis 72 Euro pro Tonne CO2 bzw. Kubikmeter Holz. Deshalb ist es auch verständlich, dass Waldbesitzerinnen und -besitzer daran interessiert sind, sich dieses Geld zu holen. Die Versuchung ist groß: Man sieht den Börsenkurs und überlegt, über Carbon Farming ein gutes Geld verdienen zu können. Das ist verlockend, aber ich warne zur Vorsicht ...

Wieso ist PEFC in diesem Zusammenhang zusätzlich interessant?
PEFC ist eine Zertifizierung nach internationalen Standards. PEFC betreibt aber auch eine Plattform, auf der als Pilotprojekt für Italien die überbetrieblichen Leistungen des Waldes – und eben nicht nur die CO2-Bindung, die momentan in aller Munde ist – abgegolten werden können. Ausgedrückt werden diese Leistungen immer in CO2-Äquivalenten als „Währung“, sie können nicht in den internationalen Handel des Carbon Farming eingebracht werden. Sie könnten aber von lokalen Unternehmen, beispielsweise Alperia oder Skigebieten, als freiwillige Anerkennung der Leistungen der Waldeigentümer im Berggebiet angekauft werden. Das heißt konkret: Zusätzlich zur CO2-Bindung würden so auch die hydrologische Funktion der Wälder oder ihre Freizeitfunktion oder andere Leistungen berücksichtigt werden, indem solche Unternehmen den entsprechenden Waldeigentümerinnen und -eigentümern direkt etwas dafür bezahlen. Auch an dieser Möglichkeit arbeiten wir. Aber wir sind vorsichtig: Wir informieren uns gut und müssen nicht unbedingt die Ersten sein. Weil wir kein Lehrgeld zahlen möchten, schließlich geht es um unsere Waldeigentümerinnen und -eigentümer. Wir schauen uns alles genau an und warten ab, bis man Genaueres weiß, und gehen keine Risiken ein.

Und wenn das jemandem zu schwerfällig ist? Kann man sich auch selber umtun?
Den ganzen Bericht finden Sie ab Freitag in der Ausgabe 12 des „Südtiroler Landwirt“ vom 21. Juni ab Seite 39, online auf „meinSBB“ oder in der „Südtiroler Landwirt“-App.

Landesforstinspektor Mario Broll

Renate Anna Rubner

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